Ukraine: wem gehört die schwarze Erde? (2024)

Ukraine: wem gehört die schwarze Erde? (1)

Die Böden der Ukraine sind so fruchtbar wie die Böden an wenigen Orten auf der Welt. Im Schatten des Krieges eignen sich Oligarchen und Agrarkonzerne riesige Flächen an, die Kleinbauern verarmen.

Andrea Jeska (Text) und Emilien Urbano (Bilder)

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In Jerkiwski, einem Ort zwei Stunden von der Hauptstadt Kiew entfernt, brennt die Sonne auf die Felder. Riesige Flächen mit Weizen ziehen sich bis zum Horizont, Walnussbäume begrenzen die schmalen Strassen, friedlich ist die Stille. Die südliche und die östliche Front sind weit entfernt, es fallen keine Raketen oder Mörsergranaten, und doch hat der Angriffskrieg Russlands auch hier seine Folgen. Abertausende Hektaren Land haben im vergangenen und in diesem Jahr ihre Besitzer gewechselt. Laut der Studie «Krieg und Diebstahl» des kalifornischen Oakland Institute, eines Think-Tanks für Nahrungssicherheit und Landaneignungen, befinden sich bereits drei Millionen Hektaren fruchtbares Ackerland in den Händen von gerade einmal einem Dutzend grosser Agrarunternehmen. Oaklands Strategiedirektor Frederic Mousseau nennt das eine Übernahme der ukrainischen Landwirtschaft durch westliche Konzerne.

«Da bahnt sich eine Katastrophe für die Kleinbauern an», sagt Wiktor Scheremeta. Der 60-Jährige ist Vorsitzender der ukrainischen Union der Kleinbauern. Sein Verband, sagt er, habe lange protestiert gegen das, was er als «Ausverkauf mit fragwürdigen Methoden» bezeichnet. Und würde wohl weiterhin protestieren, herrschte nun nicht Kriegsrecht, das Proteste verbietet, und wäre es nicht eine Sache des Anstands, die eigenen Interessen dem Ziel des Siegs unterzuordnen. «Wohlwissend», sagt Scheremeta, «dass nach dem Krieg vielleicht die halbe Ukraine Unternehmern gehört, die die Kleinbauern in den Ruin treiben werden.»

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Die Ukraine, Kornkammer Europas, hat 33 Millionen Hektaren Ackerland, das ist ein Drittel der Gesamtackerfläche der Europäischen Union. 30 Prozent des Weltweizens werden auf diesen Böden angebaut.

Bereits vor dem Krieg befand sich ein Viertel davon in den Händen internationaler Agrarkonzerne. Die korrupten Regierungen der neunziger Jahre sowie eine überstürzte Privatisierung führten dazu, dass die neue Oligarchie riesige Ackerflächen kaufen konnte, oft weit unter dem Preis. Rund 4,3 Millionen Hektaren gehörten zu Beginn des Krieges – als Besitz oder geleast – Grossgrundbesitzern. 5Millionen Hektaren landwirtschaftliche Staatsflächen, die Fläche der Krim, waren teilweise durch Korruption vom Staat in privaten Besitz übergegangen. Die verbleibenden 23 Hektaren werden von 8Millionen ukrainischen Kleinbauern genutzt.

2001 hatte es in der Ukraine ein Moratorium gegen Landkäufe gegeben, dieses aber wurde 2020 auf Drängen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IMF) und der Europäischen Entwicklungsbank wieder aufgehoben. Das neue Landgesetz ermöglicht es ausländischen Firmen, Land zu leasen, und ukrainischen Investoren, grosse Landflächen zu kaufen. «Die Aufhebung des Moratoriums war die Bedingung dafür, dass die Ukraine Kredite erhält. Die Kleinbauern zahlten die Zeche dafür», sagt Scheremeta.

Die grössten Landbesitzer sind heute eine Mischung aus Oligarchen und einer Vielzahl ausländischer Interessenten. Mit einer Ausnahme sind die zehn grössten Anleger, die in ukrainisches Land investieren, im Ausland registriert. Unter ihnen die Chemiekonzerne Bayer und Dupont sowie das Agrarunternehmen Cargill. Grösster Investor ist der amerikanische Pensionsfonds NCH mit 450000 Hektaren Pachtfläche.*

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Während die grossen Agrarkonzerne ihre Angelegenheiten aus sicherer Entfernung regeln, sind die meisten ukrainischen Kleinbauern an der Front, können den Hof nicht versorgen, die Felder nicht bestellen – und sind deshalb oft gezwungen, ihr Land zu verpachten oder zu verkaufen.

Die Prozesse des freien Landverkaufs und -kaufs werden zunehmend liberalisiert und beworben. Dies bedroht die Rechte der Ukrainer auf ihr Land, für das sie ihr Leben geben.

Im Dezember 2022 forderten Landwirte, Wissenschafter und Nichtregierungsorganisationen, das Landreformgesetz von 2020 und alle Markttransaktionen von Land während der Kriegs- und der Nachkriegszeit auszusetzen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften der Ukraine erklärte, dieser Schritt werde «die nationale Sicherheit und die Wahrung der territorialen Integrität des Landes in Kriegs- und Nachkriegszeiten gewährleisten. Heute kämpfen und sterben Bauern und Bäuerinnen im Krieg. Sie haben alles verloren. Die Prozesse des freien Landverkaufs und -kaufs werden zunehmend liberalisiert und beworben. Dies bedroht die Rechte der Ukrainer auf ihr Land, für das sie ihr Leben geben.»

Der Krieg hat die Auslandverschuldung der Ukraine vervielfacht, das Land ist heute der weltweit drittgrösste Schuldner des IMF. Die Kosten für den Wiederaufbau nach dem Krieg werden zurzeit auf 750 Milliarden Dollar geschätzt. Vor dem Krieg erwirtschaftete die ukrainische Landwirtschaft 10 Prozent des BIP und machte 41 Prozent der gesamten Exporte aus. 14 Prozent der Bevölkerung waren in der Landwirtschaft beschäftigt.

Die Fläche der durch Blindgänger und Minen unbrauchbar gewordenen Ackerflächen beträgt zurzeit mehr als
400000 Hektaren.

Doch je länger der Krieg dauert, desto prekärer wird die Situation der Kleinbauern. Die Fläche der durch Blindgänger und Minen unbrauchbar gewordenen Ackerflächen beträgt zurzeit mehr als 400000 Hektaren. 20 Prozent der Ackerflächen sind zudem verlorengegangen, weil sie in besetzten Gebieten liegen. Und nun hat Russland, kurz vor der neuen Weizenernte, auch noch das Getreideabkommen aufgekündigt und greift die Stadt Odessa an, aus deren Hafen die Getreideschiffe auslaufen. Putin droht damit, Schiffe in Teilen des Schwarzen Meeres als Gegner zu behandeln und anzugreifen.

Im Dezember 2022 haben die USA der Ukraine über 113 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt, darunter 65 Milliarden Dollar an Militärhilfe. Die vom Oakland Institute erhobenen Daten zeigen, dass – im Gegensatz zu riesigen Agrarunternehmen – die Kleinbauern bislang wenig Unterstützung erhielten. Dabei brauchten gerade sie Kredite, um zu investieren. Auch Scheremeta kämpft um das Überleben seines Hofes. In seiner Scheune liegen riesige Haufen von Sonnenblumenkernen, die auf ihren Abtransport warten. Doch die Lieferketten sind unterbrochen. «Viele Bauern haben sich auf den Export spezialisiert, nun fällt uns das auf die Füsse.»

In der Zwischenzeit geht die Landübernahme weiter. Der ukrainische Agrarkonzern Kernel Holding hat angekündigt, seinen Landbesitz von 506000 Hektaren auf 700000 Hektaren erhöhen zu wollen. Er ist der weltgrösste Erzeuger und Exporteur von Sonnenblumenöl sowie der grösste ukrainische Erzeuger und Exporteur von Getreide mit Sitz in Luxemburg. «Wenn die Kleinbauern von der Front zurückkommen und realisieren, dass sie gegen die Grosskonzerne keine Chance mehr haben, dann wird der Protest nicht mehr friedlich sein, sondern radikal», prophezeit Scheremeta. «Denn dieses Land gehört unseren Kindern und Enkeln.»

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Das Oakland Institute empfiehlt, das Ende des Krieges für eine Umgestaltung des Agrarsektors zu nutzen: Unterstützt werden sollten in erster Linie die Bauern, die das Land ernährten, nicht exportorientierte Unternehmen. Doch die Leasingverträge der grossen Agrarunternehmen gälten für 49 Jahre, sagt Scheremeta. «Die werden wir nicht rückgängig machen können.»

* In einer früheren Version des Artikels wurde der Rohstoffkonzern Glencore als Landbesitzer erwähnt. Korrekt ist, dass Glencore Agriculture in der Vergangenheit 80000 Hektaren Land in der Ukraine gepachtet hatte. 2017 zog sich Glencore Agriculture aber aus der landwirtschaftlichen Produktion in der Ukraine zurück.

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FAQs

Did Russia ever recognize Ukraine? ›

Ukrainian People's Republic and Ukrainian State

Soviet Russia was forced to recognize Ukrainian independence in March 1918 by signing the Treaty of Brest-Litovsk as a consequence of Armistice between Russia and the Central Powers. This only paused the Ukrainian–Soviet War which started again in the end of 1918.

How long was Ukraine part of Russia? ›

Following the Partitions of Poland (1772–1795) and the Russian conquest of the Crimean Khanate, the Russian Empire and Habsburg Austria were in control of all the territories that constitute present-day Ukraine for over a hundred years.

Is it the Ukraine or Ukraine? ›

US ambassador William Taylor said that using "the Ukraine" implies disregard for Ukrainian sovereignty. The official Ukrainian position is that "the Ukraine" is both grammatically and politically incorrect.

Is Ukraine recognized as a country? ›

The United States recognized Ukraine's independence on December 25, 1991, when President George H.W. Bush announced the decision in an address to the nation regarding the dissolution of the Soviet Union. Ukraine previously had been a constituent republic of the USSR.

What did Ukraine used to be called? ›

From 1922 until 1991, Ukraine was the informal name of the Ukrainian Soviet Socialist Republic within the Soviet Union (annexed by Germany as Reichskommissariat Ukraine during 1941–1944).

Who broke the Minsk agreement? ›

At the start of January 2015, Russia sent another large batch of its regular military, which together with separatist forces of the Donetsk People's Republic (DPR) and Luhansk People's Republic (LPR) began a new offensive on Ukrainian-controlled areas, resulting in the complete collapse of the Minsk Protocol ceasefire.

What country was Ukraine before 1917? ›

Most of Ukraine fell to Russian rule in the 18th century. In the aftermath of World War I and the Russian Revolution of 1917, most of the Ukrainian region became a republic of the Soviet Union, though parts of western Ukraine were divided between Poland, Romania, and Czechoslovakia.

What was Russia called before Russia? ›

The Russian Soviet Federative Socialist Republic renamed itself as the Russian Federation and became the primary successor state to the Soviet Union. Russia retained its nuclear arsenal but lost its superpower status.

How big is Ukraine compared to Russia? ›

How big are Ukraine and Russia? Ukraine and Russia are the two largest countries in Europe. At just more than 17 million square kilometres (6.5 million square miles), Russia is the largest country in the world and roughly 28 times the size of Ukraine.

What is the real name of the Ukraine? ›

On 24 August 1991, the Ukrainian Soviet Socialist Republic changed its name to Ukraine.

What does Ukraine mean in English? ›

Borrowed from Polish Ukraina or Russian Украи́на (Ukraína), from Old East Slavic оукраина (ukraina), which is most commonly taken to have meant "borderland, marches" in this context, though for about a century now Ukrainian scholars have articulated an alternative theory that it meant "region, country, the land around ...

What is a traditional Ukrainian name? ›

Some of the most classic Ukrainian male names include Mykola, Volodymyr, Petro, Pavlo, Oleksandr, Andriy, Vasyl' and Ivan. Examples of classic female names include Mariia, Hanna, Valentyna, Olha, Halyna, Tetiana and Nadiia.

What is the main source of income in Ukraine? ›

Manufacturing is an extremely important sector of the Ukrainian economy, in terms of productivity and revenue earned. Products manufactured in the country include ferrous metals, transportation equipment and other types of heavy machinery, a variety of chemicals, food products, and other goods.

What country did Ukraine gain independence from? ›

Ukraine officially declared itself an independent state on August 24, 1991, when the communist Supreme Soviet (parliament) of Ukraine proclaimed that Ukraine would no longer follow the laws of the USSR, and only follow the laws of the Ukrainian SSR, de facto declaring Ukraine's independence from the Soviet Union.

What is Ukraine known for? ›

Ukraine is often called the “Breadbasket of Europe” because it boasts the ideal conditions for growing wheat, and is a major producer of the stuff. 9. One of the most unique tourist attractions in Ukraine is the so-called 'Tunnel of Love'.

What agreement did Russia have with Ukraine? ›

The Treaty on Friendship, Cooperation, and Partnership between Ukraine and the Russian Federation was an agreement between Ukraine and Russia, signed in 1997, which fixed the principle of strategic partnership, the recognition of the inviolability of existing borders, and respect for territorial integrity and mutual ...

What was the Minsk agreement in 1991? ›

1991 Minsk Agreement on Strategic Forces

With the dissolution of the Soviet Union, the Commonwealth of Independent States signed the Minsk Agreement on December 30, 1991, agreeing that the Russian government would be given charge of all nuclear armaments.

Who are Ukraine's allies? ›

As of 13 June 2024, parties negotiating long-term bilateral security agreements with Ukraine included Estonia, Lithuania, Czech Republic, Poland, South Korea, Croatia,Romania and Greece as well as European Union. 17 countries had already concluded bilateral security treaties with Ukraine.

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